Heute erschien ein Artikel bei der W&V mit der Überschrift "Fachkräftemangel erreicht Filmbranche". Darin spricht die Bavaria Film über einen Mangel an Autoren, Schauspieler und anderen Fachkräften. Als Nachwuchsautor, der seit zehn Monaten in den Untiefen der deutschen Film- und Fernsehbranche schwimmt und jüngst mit zwei Produzenten der Bavaria Fiction sprechen konnte, möchte ich meine zwei Pennys zum Thema "Drehbuchnachwuchs in Deutschland" zu Papier bringen.
Ich besuchte kürzlich einen Nachwuchs-Workshop des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren (VDD), wo zwei Produzenten der Bavaria Fiction vor Ort waren, die zwei Tage lang zusammen mit knapp 20 Autoren über ihre mitgebrachten Projekte sprachen. Abseits der Stoffe wurde über allerlei diskutiert, unter anderem über den Mangel an "guten Drehbuchautoren", eine Aussage, die nicht bloß in eine ähnliche Kerbe wie im Artikel schlägt, sondern uns Autoren vor Ort sehr überraschte. Aber ich kann die Sorge der Produzenten irgendwie nachvollziehen, dass zu wenig gute Autoren für zukünftige Produktionen zur Verfügung stehen könnten. Aus meiner UFA Fiction-Zeit als Redakteur weiß ich, dass die großen Produzenten sich um einen relativ kleinen Pool etablierter Autor_Innen balgen (was auch die #Kontrakt18 Bewegung zeigt, die ich als Newcomer unterstütze). Die Anzahl der Autor_Innen in Deutschland ist kleiner als man denkt, die über die Erfahrung verfügen, vom Fleck weg etwa einen klassischen, auf Senderbedürfnisse zugeschnittenen 90-Minüter oder Mehrteiler aus den Ärmeln zu schütteln UND gleichzeitig das Standing gegenüber Produzenten und Redaktionen mitbringen. Auch mir wurden schon Sätze wie "Wir bevorzugen für die Entwicklung (deines Konzepts) den etablierteren Autoren X, der gerade bei Sender Y einen Lauf hat" anhören. Das sollte man nicht persönlich nehmen und hat weniger mit einem selbst zu tun, als mit der Art wie die Branche tickt.
Im Artikel wird als ein Grund die Streaminganbieter Netflix und Amazon genannt. Ihr Erstarken soll das ohnehin bereits ausgebuchte Arbeitskräfteangebot zusätzlich ausdünnen. Die Auftragsbücher der etablierten Fachkräfte sind in der Tat voller denn je und diese können sich aktuell die Rosinen herauspicken oder es sich leisten, Zeiträume freizuhalten, um auf Projekte von Produzent X oder Player Y zu warten. Da bilden Autoren keine Ausnahme. Wenn aber Sender und Produzenten jahrelang um die Gunst von gefühlt 100 Autor_Innen buhlen und dem Nachwuchs nur wenig Beachtung schenken, dann ist das Namensregister mit Ausweichkandidaten entsprechend kurz, wenn die Lieblingsautoren mal keine Zeit haben. Dass der deutsche Markt in der Wahrnehmung mancher so arm an Autoren sein soll, liegt meiner Meinung nach weniger an einem Mangel fähiger und williger Jungautor_Innen, als an der Art und Weise, wie die Branche bislang die Zusammenarbeit von Autoren bremste. Auch heute gelten Drehbuchautoren_innen in Deutschland noch als Einzelkämpfer, ob sie wollen oder nicht.
Nennt mich naiv, aber eine Lösung könnte sehr simpel sein: Die Etablierung von Writers Rooms. Ich bin nicht der erste und nicht der letzte, der sich dafür stark macht. Solche Schreibteams sind das Tool überhaupt, um gestandene Autoren mit dem Nachwuchs zusammen zu bringen und für einen Wissenstransfer ganz im Sinne von Autor, Produzent und Sender zu sorgen. Und als netter kleiner Nebeneffekt würde die Qualität der Stoffe davon profitieren. Doch wir wissen alle, warum sich solche Schreibräume in Deutschland schwer tun: 💰
Der VDD fördert gemeinsam mit der Bavaria und den Workshops einen praxisnahen Wissensaustausch, was vielleicht auch andere Produzenten auf Ideen bringt, die zwar oft Nachwuchsförderung in der PR-Agenda stehen haben, sich dabei aber nicht selten auf die prestigeträchtigeren Bereiche Regie oder Schauspiel einschießen. Auch wäre ein Mentorensystem denkbar, wo etablierte Autor_Innen den Nachwuchs mit Rat und Tat unterstützen. Außerdem ein Internship Programm bei größeren Produktionen, wo Nachwuchsautor_Innen als (mehr oder weniger) stille Mäuschen relevante Stadien wie Buchbesprechungen begleiten können, um Erfahrungen im Umgang mit Sendern, Produzenten und Regisseuren zu sammeln. Ähnliches wird schon im kleinen Rahmen praktiziert, aber meiner Erfahrung nach nicht genug, um den Autorennachwuchs auf breiter Basis und nachhaltig zu stärken - und damit die von Produzenten prophezeite Nachfrage der Branche zu stillen.
Orlindo Frick
Nominiert für den Deutschen Animationsdrehbuchpreis
2018
Drehbuchstipendium für "Sternenkinder", eine deutsch-historische Genreserie