Als Autor, Redakteur, ehemaliger Journalist und Mitglied des Verbandes der Deutschen Drehbuchautor_Innen ist meine Position zum Thema Urheberechtsreform und Artikel 13 eigentlich schon vorgegeben. Warum dem nicht so ist und ich kritisch dem aktuellen Reformtext gegenüber stehe, versuche ich anbei zu erläutern.
Kurz zu mir als Einordnung: Ich war die letzten sieben Jahre sowohl als Onlineredakteur als auch Journalist und Autor tätig, zu dem vier Jahre lang in einer leitenden Onlinepostion in einem Bertelsmann-Unternehmen (der UFA). Gehöre also theoretisch eigentlich zu den Nutznießern einer Urheberrechtsreform. Vor allem gehöre ich aber auch der Generation Y an. Der Generation, die erstmals mit dem Internet aufgewachsen ist und das Internet zur persönlichen, kreativen Entfaltung und für das alltägliche Sozialleben verwenden, abseits von althergebrachten Nutzungsarten wie Mail-Kommunikation und Netflix.
Lasst mich direkt den Hauptkonflikt ansprechen, nämlich dass die überfällige Modernisierung des Urheberrechts gegen die freie Meinungsäußerung und Entfaltung im Internet ausgespielt wird. Die Diskussionen entzünden sich größtenteils an dem berühmten Artikel 13. Meine Meinung dazu: Es gäbe diverse Alternativlösungen für Uploadfilter , die sowohl technisch machbar als auch im Sinne einer realistischen, zeitgemäßen Wahrung des Urheberrechts sinnvoll integriert werden könnten. Wenn ganze Advokats- und Richterarmeen in endlosen Prozessen über die Definition von Satire, Parodien, Zitate und Meinungen streiten, wie soll dies ein (noch so teurer) Algorithmus in einer vorgelagerten Millisekunde schaffen? Aber die Politik (mehrheitlich auf der Seite der Union, wobei auch die CDU bei diesem Thema sich sehr gespalten zeigt) weigerte sich standhaft diese in Betracht zu ziehen. Hinzukommt, dass die Ablehnung von Uploadfiltern eigentlich Teil des Koalitionsvertrages war, sich aber scheinbar niemand mehr für die Versprechen von vor 12 Monaten interessiert.
Mit dieser ignoranten Vorgehensweise werde ich als Autor und Internet-Native nun dazu gedrängt, mir selbst die Gretchenfrage zu stellen. Und die Antwort ist für mich eindeutig: So sehr ich für die längst überfällige Urheberrechtsreform bin, so sehr zweifle ich am aktuellen Entwurf und seinen zu vagen Formulierungen (und obskuren Ausnahmen), die zu unberechenbaren Auslegungen führen können. Das passt nicht zu meinem Verständnis für eine zeitgemäße Internetkultur und -Gesellschaft, das ich in knapp zehn Jahren als Onlineredakteur entwickelte und ich auch als Autor nicht so einfach ablegen kann. Wenn Artikel 13 in dieser Form durchgewunken werden sollte, ist das Recht auf freie, kreative Meinungsäußerung von Millionen von Usern_Innen (nicht nur Influencern oder Youtubern auf Konzernplattformen, sondern alle, die in Wort, Bild und Ton im Internet agieren und interagieren), in Gefahr. Dies wiegt in meinen Augen schwerer als die im Text neu gefassten Urheberrechte. Und ja, damit schneide ich mir ins eigene Fleisch. So ist das im Jahr 2019. Reiner Wirtschafts-Egoismus reicht heute nicht mehr aus, auch wenn so mancher Autokrat uns was anderes vorlügen will.
Natürlich wurden unlängst sämtliche Formulierungen, die an "Uploadfilter" erinnern, aus dem Entwurf beseitigt. Aber wenn die EU der Auffassung ist, dass Plattformbetreiber auch ohne Uploadfilter ihrer neuen Verantwortung sinnvoll nachkommen können, sollte sie dies darlegen, ansonsten bröckelt das Vertrauen der (vor allem deutschen) User, weil wir sehr genau wissen, zu was für bürokratischen Kapriolen die deutsche Gesetzgebung tendiert, wenn sie dazu gedrängt wird, digitale "Neulandthemen" zu begreifen. Stichtwort: DSGVO.
Ich betone nochmals: Ich befürworte eine Modernisierung des Urhebergesetzes, die die Stellung von Kreativen, Urhebern und Verwertern verbessert. Jedoch kann und darf eine "faire" Entlohnung nicht mit der Minderung der Rechte und Bevormundung von Millionen von europäischen Usern verknüpft werden (in Asien und Amerika lacht man sich währenddessen ins Fäustchen). Dieses Thema ist nicht schwarz-weiß. Die Belange der Urheber stehen nicht automatisch im Kontrast zum freien Internet. Diese Auslegung ist allein Herrn Voss zu verdanken, der seinen weltfremden Altmännertext durch alle Instanzen peitschte, aber bei Interviews weder Kompetenz noch Interesse für die Materie zeigt, sondern sich in seiner Eitelkeit sonnt. Das Wirtschaft, Verbände und Interessensgruppen sich für eine Reform einsetzen, ist verständlich. Dass DIESER bestimmte Reformentwurf jedoch so viel Zuspruch erfährt, ist mir völlig schleierhaft. Oder anders ausgedrückt: Mit dem vorliegenden Reformtext wird über einen nur notdürftig erweiterter Erstentwurf entschieden. Und gerade Drehbuchautoren wissen nur zu gut, dass dies selten eine gute Idee ist, sondern hier die Arbeit erst beginnt.
Die großen Konzerne sollen und müssen mit ihrem Gewinn, den sie durch User Generated Content erwirtschaften, Urheberlizenzen erwerben. Kaum ein_e Demonstrant_In widerspricht dieser logischen, absolut einleuchtenden Forderung. Nur muss dies mit und einem Verständnis für das Internet von heute passieren. Zudem muss die Haftung beim User/der Userin verbleiben (wie man auf die Idee kommen kann, Plattformen, egal wie groß oder klein sie auch sein mögen, pauschal für die Handlungen ihrer Nutzer haftbar zu machen, bleibt mir ein Rätsel). Das würde zu einem Win-Win führen. Win für die Urheber, Win für die User und Plattformen und vor allem ein Win für die Meinungs- und Informationsfreiheit. Dies jedoch nur bei den Big Playern, bei KMU-Plattformen muss differenzierter und klarer formuliert werden, wann wie welche Plattformen haftbar sind und was für konkrete Möglichkeiten (!) denkbar sind. Ich erkenne im aktuellen Entwurf nur jede Menge Sonderausnahmen, aber bis auf die dubiose "3 Jahre, 5 Mio. Besucher und 10 Mio. Dollar Umsatz" Klausel wenig Greifbares, was mein Vertrauen und Verständnis als Betreiber oder User fördert.
Niemand ist gegen einen zeitgemäßen, fairen Schutz von Urhebern und Urheberrechten. Nur haben viele der Kritiker von Artikel 11 und 13 bereits heute mit Content ID Systemen zu tun, die genau das umsetzen sollen, was Artikel 13 im EU-weiten Maßstab fordert. Nur erzeugen diese bereits heute ein Chaos aus Fehlern, Missverständnissen, Frust und Zensur sowohl bei Rechteinhabern, Plattformbetreibern UND Usern. Wir leben schon in der „Utopie“, die in Artikel 13 gefordert wird und es funktioniert schlicht und ergreifend nicht. Also müssen neue Vorschläge her. Und das braucht Zeit. Aber die letzten Monate haben gezeigt, wie vor allem die Politik sich weigert, sich diese Zeit zu nehmen, um die (eigentlich sehr überschaubaren, aber umso gravierenderen) Kritikpunkte an der Reform ernst zu nehmen, zu analysieren und gemeinsam zu beheben.
Man mag mich und meine Position als Nachwuchsautor belächeln, langsam beschäftigen sich aber auch namhafte Autorenkolleg_Innen mit der Sache und äußern sich kritisch, wie Tommy Krappweis auf Facebook. Ich kann nur allen raten, sich selbst mit dem vorliegenden Entwurf auseinander zu setzen. Verlasst euch auf keine einseitige Berichterstattung (egal von welcher Seite), sondern nehmt euch die Zeit und studiert die kritisierten Stellen des Entwurfs mit eigenen Augen und entwickelt ein Verständnis für die Belange und Bedenken der anderen Seite. Danach lasst uns gemeinsam hinsetzen und reden!
Gesetze, die in die Digitalgesellschaft eingreifen, müssen von und mit Menschen gemacht werden, die selbst Teil dieser Gesellschaft sind. Und es bräuchte gar nicht viel, um eine zeitgemäße Urheberrechtsreform zu beschließen, die Europas Internet nicht in die Steinzeit zurückbombt. Außer, man verbindet mit dem "Internet" nur Mails, Pornos und Netflix, dann spricht natürlich gar nichts gegen den vorliegenden Entwurf.